Das Kirtu-Epos: Einleitung

König Kirtu ist verzweifelt. Nachdem ihm keine seiner Ehefrauen einen Nachkommen schenkte, steht seine Dynastie vor dem Aus. Als er sich in den Schlaf weint, erscheint ihm ˀIlu, der König der Götter und "Vater der Menschheit", und führt ihm des Dilemmas Lösung vor Augen: Kirtu solle mit einem Heer zur Stadt ˀUdumu ziehen und Ḥurriya, die Tochter des dortigen Königs, fordern. Geträumt, getan. Kirtu marschiert nach ˀUdumu. Auf dem Weg gelobt er der Göttin ˀAṯiratu Gold und Silber, falls der Feldzug glückt und er Ḥurriya gewinnt. Nach siebentägiger Belagerung übergibt Pabilu, der König von ˀUdumu, seine Tochter an Kirtu. Gemeinsam mit Ḥurriya kehrt Kirtu zurück in sein Königreich. Jahre vergehen, und Kirtu und Ḥurriya bekommen viele Söhne und Töchter. Kirtus Nachfolge ist gesichert, sein Gelübde gegenüber ˀAṯiratu scheint er jedoch vergessen zu haben ...

Das Kirtu-Epos (KTU 1.14-16) ist eine der drei längsten literarischen Kompositionen in ugaritischer Sprache und Schrift, von denen wir Kenntnis haben. Das Werk liegt in drei Tafeln vor, die vorder- und rückseitig in je drei Kolumnen beschrieben sind. Die erste Tafel ist nahezu vollständig erhalten, von den zwei weiteren fehlt jeweils knapp die Hälfte. Gleichwohl lässt sich die Handlung des Werks recht klar nachvollziehen. Als Kirtu nach einer Reihe von Schicksalsschlägen ohne Nachkommen dasteht, sucht er, seine Dynastie zu retten. Mit göttlicher Hilfe gelingt es ihm, eine neue Familie zu gründen. Sowohl die Ambivalenz, mit der diese Familie gezeichnet wird, als auch die Schilderung des Kirtu als eines Menschen, der sich im Spannungsfeld zwischen göttlichem Wohlwollen und selbstverschuldeter Strafe abarbeitet, offenbaren ein Werk von weltliterarischem Rang.

Zur Zeit ist die Edition der ersten Tafel (KTU 1.14) auf dem EUPT-Portal zugänglich (zur Edition). Die Bearbeitungen der übrigen Tafeln (KTU 1.15-16) werden 2024 und 2025 sukzessive veröffentlicht.

Dramatis personae
KirtuKönig von Bêtu-Ḫabūri. Auf Anraten ˀIlus belagert er die Stadt ˀUdumu und zwingt deren König, ihm die Prinzessin Ḥurriya zur Frau zu geben. Mit ihr gründet er eine Familie, erkrankt dann aber aufgrund eines unerfüllten Gelübdes.
ˀIluHöchster Gott des ugaritischen Pantheons und wohlmeinender Beschützer Kirtus. Er erscheint Kirtu im Traum und weist ihm den Weg zu Ḥurriya, segnet die beiden beim Hochzeitsbankett und veranlasst, dass Kirtu von seiner Krankheit geheilt wird.
PabiluKönig von ˀUdumu. Er übergibt seine Tochter Ḥurriya an Kirtu, um diesen zum Abzug zu bewegen.
Pabilus BotenWährend Kirtu vor ˀUdumu lagert, überbringen ihm zwei Boten Pabilus ein Friedensangebot.
ḤurriyaTochter des Pabilu und Ehefrau Kirtus. Sie schenkt Kirtu mehrere Töchter und Söhne.
ˀAṯiratuGefährtin von ˀIlu. Wird als Göttin von Tyros und Sidon eingeführt. Kirtu gelobt, ihr Silber und Gold darzubringen, wenn er Hurriya als Ehefrau gewinnen kann.
YaṣṣubuSohn des Kirtu und der Ḥurriya. Er wird im Segen ˀIlus am Hochzeitsbankett dem Kirtu verheißen. Am Ende des erhaltenen Texts fordert Yaṣṣubu den Thron und wird daraufhin von Kirtu verflucht.
ˀIluḥaˀuSohn des Kirtu und der Ḥurriya. Er beklagt seines Vaters Krankheit und sucht anschließend seine Schwester Ṯitmanatu auf.
ṮitmanatuJüngste Tochter des Kirtu und der Ḥurriya. Sie klagt um ihren Vater, als sie von seiner Krankheit erfährt.
ˀIlšu und seine FrauGötterboten.
ŠaˁtiqatuHeilgöttin, von ˀIlu aus Lehm geformt, um Kirtu zu heilen.
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